Die Instandsetzung und der Alten Dorfkirche in Laudenbach erscheint auf den ersten Blick wie eine der vielen klassischen Kirchenrenovierungen der aktuellen Zeit: Oberflächen werden erneuert, technische Anlagen auf den neuesten Stand gebracht und denkmalverträglich möglichst viel Wärmeschutzmaßnahmen integriert. Wie bei solchen Projekten weiterhin üblich, wird auch eine zukunftsfähige funktionale Ausrichtung des Gebäudes verfolgt. Moderne Gottesdienstformen sollen ermöglicht werden, das Nutzungsspektrum auf Musikveranstaltungen, Lesungen und ähnliche Formate erweitert werden. Der Gemeinschaft sollen neue, auch säkulare, Wege der Nutzung ermöglicht werden, die der Bausubstanz funktionale Relevanz geben und damit das kulturelle Zeichen der ‚Kirche im Dorf‘ dauerhaft sichern.
Bei der Instandsetzung der Alten Dorfkirche in Laudenbach stehen diese wichtigen Aufgaben jedoch nicht im Mittelpunkt der Projektbearbeitung. Die zentrale Herausforderung für Planer, Denkmalpfleger, Historiker, Bauherren und Nutzer war der angemessene Umgang mit der Zeitschichtung innerhalb des mittelalterlichen Kircheninnenraums, die bis zuletzt durch den nationalsozialistischen Geist einer massiven Überformung im Jahr 1936 geprägt war und der, mittlerweile selbst Denkmal geworden, noch weitestgehend unverändert Bestand hatte. Die Auseinandersetzung mit der Frage, wie zwischen den Belangen der Denkmalpflege, kulturhistorischer Abwägungen sowie dem berechtigten Interesse der Kirchengemeinde und einer würdigen Liturgie zu priorisieren ist, hat polarisiert und bedurfte eines ausgiebigen Ausverhandlungsprozesses, der sich in zahlreichen Veröffentlichungen denkmalfachlicher, kulturhistorischer und theologischer Provenienz nachverfolgen lässt (siehe auch unter 3.13). Über sechs Jahre wurden mit Vertretern der Landeskirche, der Oberkirchenrats, der Kirchengemeinde und der Denkmalpflege in einem vielseitigen und durchaus kontroversen Prozess ein gemeinsamer Lösungsweg geformt, der sich zum Ziel setzt die Entgegensetzung von Mahnung und Zuversicht in einem neuen kulturellen Paradigma aufzulösen. Dieser Prozess benötigt nicht nur eine tiefe Beschäftigung mit der Materie, sondern insbesondere einen offenen partizipativen Findungsprozess.
Das Verständnis für die Auseinandersetzung beginnt mit der Umgestaltung der Alten Dorfkirche. Bis 1934 wurde sie als Simultankirche durch die reformierte evangelische Gemeinde genutzt. Nach dem Ende des Simultaneums wurde im Jahr 1936, auf dem anschwellenden Höhepunkt der Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts, die gesamte Kirche im Geiste der „Glaubensbewegung Deutsche Christen“ mit ausdrücklich und eindeutig nationalsozialistischer Symbolik ausgestattet. Die Kirche wurde zur Martin-Luther-Kirche umbenannt. Die in dieser Umformung sichtbar werdende Bestrebung nationalsozialistische Symbolik und Zeichen mit jenen von historischen und geschichtsträchtigen Orten und Institutionen zu verweben ist durchaus kein Einzelfall. Die an Umwidmung grenzende Umgestaltung von Kirchen, wie etwa in Quedlinburg und Braunschweig, aber auch die Inszenierung der Wewelsburg als Mittelpunkt der Welt sind bekanntere und gut dokumentierte Zeugnisse solcher versuchten Geschichtsfälschungen.
In Laudenbach wurde an das Kirchenschiff der mittelalterlichen Kirche ein Chorraum angebaut. Der hier platzierte Altar ist vom Sitzplatzbereich durch einer monumentalen Stufenanlage aus 8 Stufen in dunkelrotem Sandstein räumlich abgesetzt. Steinerne Balustraden verstärken die räumliche Trennung und lassen sie hierarchisch wirken. Im alten Kirchturm am anderen Ende des Kirchenschiffs, noch oberhalb des christlichen Altars, wurde eine Ehrenhalle mit einem „Adolf-Hitler-Altar“ eingerichtet in dem unter anderem eine Ausgabe von ‚Mein Kampf‘ eingelegt wurde. Über diesem Altar wird ein Fenster, dass Hindenburg und Hitlers Handschlag zeigt, eingebaut. Dieses Fenster wird eines der zentralen Stücke einer ganzen Reihe von neuen Fenstern mit völkischer Motivik, die gleichzeitig eingebaut werden. Das Hitlerfenster wurde 1945 ausgebaut, die anderen Fenster blieben aber bis heute erhalten. Darunter auch das sogenannte Heldengdenkfenster, ein blutrot gefärbtes Fenster mit martialischer Kriegsmotivik. Unter den Namen Gefallener des Ersten Weltkriegs wird der gut lesbare Spruch „Deutschland muss leben, auch wenn wir sterben müssen“ mit einem Hakenkreuz flankiert. Das Fenster ist oberhalb des Taufbeckens angeordnet und tüncht jede Taufe in schauerliches rotes Licht und war daher eine der wesentlichen Herausforderungen für die Vereinbarung christlicher Liturgie und denkmalpflegerischer Relevanz. Aber auch die übrigen Veränderungen an der Kirche sind aus funktionalen, liturgischen und kulturellen Gründen, meist allem gemeinsam, ohne Anpassungen schwerlich in ein Konzept der Zukunftsfähigkeit integrierbar. Diese Situation bildet den Ausgangspunkt der Planung.
In jahrelanger dialektischer Arbeit mit Hinterbliebenen, der Kirchengemeinde, dem Oberkirchenrat und der Denkmalpflege wurde ein gemeinsamer Weg erarbeitet, der nicht nur durch den Beitrag der Architekt*innen geprägt war, sondern insbesondere auch durch den der Gemeindemitglieder und der Denkmalpflege. Im Hinblick auf das Fenster wurde beispielsweise entschieden, das Fenster in situ zu belassen, aber dennoch kraftvoll zu intervenieren. Vor das Fenster wird innen eine Glasscheibe vorgesetzt in der in über 100 Sprachen das Fünfte Gebot „Du sollst nicht Töten“ eingearbeitet ist. Durch die Intervention wird das „Blutfenster“ nicht verdeckt, es wird aber kommentiert und der faschistischen Botschaft eindeutig und mit dem Wort Gottes widersprochen.
Auch im übrigen Kirchenschiff werden an den Einbauten von 1936 Veränderungen vorgenommen, die als Kommentierung verstanden werden dürfen. Die steile und hierarchische Stufenanlage wird abgesenkt. Die verbleibenden Stufen dienen jetzt als Aufstellfläche für den Chor. Der neue Altar steht fast auf Ebene der Kirchengemeinde, nur aus Gründen der besseren Sichtbarkeit etwas erhöht. Die Farbfassung des Innenraums wird überarbeitet, deutlich heller und freundlicher, die Beleuchtungsmittel und Bestuhlung werden, soweit es geht, belassen und durch kleine Eingriffe aufgewertet. So erhalten alle Holzbauteile eine neue Farbfassung, die mit großem handwerklichem Können umgesetzt wird. Die vorhandenen Bodenbeläge, wie der historische hölzerne Bankspiegel, bleiben erhalten. Im mittleren Kirchenschiff werden die Bänke gegen Stühle ausgetauscht, um unterschiedliche Gottesdienstformen zu ermöglichen. Die sogenannte „Ehrenhalle“ im Kirchturm wird durch die Gemeinde zu einem Ausstellungsraum umgestaltet.
Es entsteht ein Ort gelebten Glaubens und großer Feierlichkeit. Es entsteht aber auch ein Ort, der seine Geschichtlichkeit nicht verdeckt, die wichtigen Spuren der Vergangenheit sichtbar belässt und kritisch kommentiert. Am Gelingen dieser Gleichzeitigkeit lässt sich der Wert des Projekts bemessen, zu dem auch die Erweiterung mit einem neuen Gemeindehaus im Vis-aVis gehört.